Als Besitzer eines geradezu gefährlich linkslastigen Gehirns scheint es mir natürlicher, mich eher theoretisch denn praktisch mit dem Thema Kunst auseinanderzusetzen. So stellte sich mir häufig die Frage, was Kunst denn eigentlich ausmacht, wo sie beginnt, wo endet.
Die Antwort, die ich für mich gefunden habe: Interpretation! Nichts ist Kunst, bevor der Betrachter sie dazu macht. Kunst ist folglich nicht absolut. Es kann von nichts gesagt werden, es sei Kunst. Der Einzelne kann bloß feststellen: „Das da, das ist für mich Kunst“. Diese Feststellung gilt für alle Objekte und Konzepte; natürlich gibt es Dinge, die eher und von mehr Menschen als Kunst bezeichnet werden als andere: Während in einer frisch geweißten Wand wohl nur wenige etwas Künstlerisches erkennen werden, lässt sich eine großformatige, völlig weiß bemalte Leinwand mir einem faustgroßen, roten Punkt leicht abseits der gedachten Mitte des rechten, unteren Quadranten weitaus leichter zur Kunst hochinterpretieren.
Kunst entsteht erst durch Interpretation, kann durch sie aber auch zerstört werden. Ich möchte das anhand meines Fotos erläutern:
Objektiv sehen wir hier einen Pylonen (Leitkegel/Verkehrshütchen), an dem mittels Vorhängeschloss ein flacher Sperrholzquader mit quadratischer Grundfläche befestigt wurde. Objektiv gesehen ist das keine Kunst; denkt man sich nun aber dazu, dass beide — der Kegel und das Schloss — dazu bestimmt sind, einen bestimmten Bereich von unbefugtem Zutritt oder Zugriff zu schützen, und dass sich die Methoden beider relativ leicht umgehen lassen (der Pylon kann einfach weggestellt werden; das Schloss, weil billig, lässt sich mit einer Haarspange oder einem leistbaren Picking-Set öffnen), und die beiden in Erkenntnis dieses traurigen Umstands keine andere Lösung ihres Dilemmas sehen, als sich aneinander festzuhalten, wird aus dem seltsamen Fund plötzlich Kunst (zugegeben: der Holzquader stört in dieser Deutung).
Sieht man sich am Fundort allerdings um, stellt man fest, dass dutzende solcher Schloss-Kegel-Paarungen herumstehen und in unmittelbarer Nähe ein Segway-Kurs (ja, richtig gelesen) stattfindet. Der Betrachter kann seine Auslegung, wenn er will, nun völlig über den Haufen werfen, und erkennen, dass die Schloss-Kegel einen rein praktischen Zweck haben, was ihnen jegliche künstlerische Bedeutung entzieht. Andererseits spielt sich die ganze Szene direkt neben (oder genauer: unter) einer Kunsthalle ab, was den Beobachter nun vollends verwirrt (vielleicht ist aber eben diese Verwirrung Teil des (Vielleicht-)Kunstwerks?).
Was die Kegel-Schlösser tatsächlich darstellen sollten, weiß ich bis heute nicht; ob die Person, die sie aufgestellt hat, Kunst im Sinn hatte, ebenso wenig. Ob der Schloss-Kegel per se trotzdem Kunst ist, auch wenn er eigentlich nur einen langweiligen Zweck erfüllen sollte, darf der geneigte Leser für sich selbst entscheiden.
Zur Person
@catearcher ist — im Gegensatz zu seiner Namenspatin — ein Mann, und lebt, studiert und arbeitet in Wien. Der Photographie nähert er sich nur langsam und vorsichtig an, weil bloß mit einer Smartphone-Kamera bewaffnet. Seine Pflicht als Social-Media-Möchtegern-Bobo erfüllt er in erster Linie auf Twitter. Wer ihn auf Konzerte diverser prätentiöser Indie-Bands begleiten will, darf ihn auf last.fm stalken.
Alle Infos zum Projekt 31 Tage – 31 Fotos gibt es hier.
3 Comments
[…] von Patrick M. Weiterer Gastbeitrag: Tag 28 – Kunst Schon mal darüber nachgedacht sich einen E-Bookreader zu kaufen? Ja? Aber welchen? Vielleicht […]
[…] Dieser Artikel erschien am 28. August 2010 auf pixi.mitmilch.at unter dem Titel Tag 28 – Kunst. […]
Ich wuerde mit dir uebereinstimmen, dass die Ebene der (z.T. sehr individuellen) Interpretation wichtig für ein Kunstwerk ist (gerade in der Moderne), ob sie aber notwendig ist, das ist die Frage. So funktionieren viele Kunstwerke auf einer rein aesthetischen Weise (z.b. klassische Bildhauerei, etc.). Um die Frage ob der Schloss-Kegel „per se“ Kunst ist, muss ja auch (wie du schon ansprichst) der (raeumlich, zeitliche, …) Kontext miteinbezogen werden. So werden die von Warhol arrangierten Brillo-Boxen per so auch nicht als Kunst erachtet, in Warhol’s Arrangement aber sehr wohl (wobei die Interpretation sehr individuell ist, genau wie du sagst) – insgesamt wohl eine gute Analogie zu deinem Beispiel hier. Bezueglich des „rein praktischen Zweckes“: ich glaube nicht dass du meinst, dass ein praktischer Zweck jegliche künstlerische Eigenschaft ausschliesst, oder (dazu finden sich ja genuegend Gegenbeispiele) ? In dem konkreten Beispiel koennte der Uebergang ja auch fliessend sein, evtl. ein primaer praktischer Zweck, der aber auch „kuenstlerisch aufgeladen“ (ob „sinnvoll“ oder nicht…) wurde. Insgesamt finde ich die Frage was Kunst ist ja immer wieder spannend – auch der Artikel sehr interessant, mehr davon 🙂
Just my 0.02$
Marcin
PS: Meine Tochter (3 Jahre) antwortete letztens auf die Frage „Was ist Kunst?“: „Na, wenn man was Cooles macht“ …